Eine Minute, über Erfinder und Nutzen der Elektrizität
In den Wirren nach der Napoleonischen Diktatur im Jahr 1820, löste in Paris André-Marie Ampère ein Rätsel: Magnetismus und Elektrizität haben miteinander zu tun! Ampere konnte in Experimenten eine Wirkung zwischen elektrischer Spannung, Strom und Magnetismus nachweisen. Ein historischer Geniestreich à la Albert Einstein, welcher es 85 Jahre später schaffte, den Zusammenhang zwischen Elektromagnetismus und Gravität nachzuweisen.
Zwei Jahre nach Ampere's Entdeckung notierte ein britischer Tüftler ein ToDo in sein Notizbuch: "Verwandle Magnetismus in Elektrizität", sein Name Michael Faraday. Neun Jahre später dann der Durchbruch. Beim Experimentieren mit einem Ring, den er mit Kabel umwickelte, entdeckte er zufällig die Induktion. Als er ein Dauermagnet in den Ring bewegte, entstand Strom im Spulenkabel. Es war ein Stromgenerator! Es funktionierte aber auch umgekehrt: Als er die Spule unter Strom setzte, bewegt sich der Magnet. Es ist das Prinzip des Elektromotors! Das Jahrhunderttalent Faraday hatte noch sehr viel mehr auf dem Kasten wie die Elektrochemie zum Beispiel. Er erfand Begriffe wie Elektrolyse, Elektrolyt, Elektrode, Anode und Katode, also die elektrochemische Batterie!
Zur selben Zeit in Bayern avancierte der einfache Schlosserlehrling Michael Simon Ohm, kaum beachtet, aber mit viel Eigenmotivation und jahrzehntelangem Stehvermögen zur Koryphäe. Ohm experimentierte mit Materialien und stellte fest, dass die Stromstärke abnimmt, wenn er durch Leiter fliesst und dass sich der Leiter dabei aufwärmt. Zum ersten Mal verstand jemand den elektrischen Widerstand. Spannung, Strom und Widerstand gehören immer zusammen (U = I x R), Heureka! Seine Erkenntnis ist die Basis für die Entwicklung der Leiter, die Elektrotechnik und die Mikroelektronik.
(Bemerkenswert finde ich, dass Magnetismus, Strom und Elektrostatik damals etwas "Geisterhaftes" an sich hatten. Die Theorie der Elektronen und Atome hat der Brite Joseph Thomson ja erst 70 Jahre später entdeckt.)
Strom ist der wichtigste Wohlstandmultiplikator unserer modernen Gesellschaft. Strom bedeutet Antriebskraft, Licht- und Wärmequelle, Fernkommunikation und künstliche Intelligenz. Strom kann sehr einfach durch mechanische Energie erzeugt werden und seit dem Jahr 1954 sogar direkt aus Sonnenphotonen -> siehe Beitrag Von Albert Einstein zum Strommarkt: Wer ist hier smart?
Eine Minute, warum wir immer verfügbaren Strom haben
Es ist eine Aufgabe, Strom über einen Leiter vom Generator zum Elektromotor zu führen. Es ist eine andere, Strom über das öffentliche Netz an viele Millionen Anschlussnehmern zu übertragen, wenn alle gleichzeitig Strom einspeisen oder entnehmen. Wie funktioniert das?
Das Europäische Verteilnetz ist hierarchisch strukturiert: Mit Höchst- & Hochspannung werden grosse Mengen Strom über lange Distanzen übertragen, das Mittelspannungsnetz dient der Stromversorgung regionaler Elektrizitätswerke (EW), Grossverbraucher und elektrischen Bahnen, das Niederspannungsnetz liefert Strom an unsere Steckdosen und Strassenbeleuchtungen.
Damit Strom aus der Steckdose einfach nutzbar ist, wurde die Netzspannung genormt. Erst 1987 legte die ganze EU die Spannung zwischen heissem Aussenleiter und Neutralleiter auf 230 Volt fest (bzw. 400 V dreiphasig), mit einer Toleranz von +/- 10%.
Während bei Gleichstrom die Elektronen durch den Leiter von A nach B huschen, zucken sie bei Wechselstrom in der Leitung hin und her, in Europa exakt 50-mal pro Sekunde. Der Wechselstrom verursacht aufgrund der Ohm’sche Leitungserwärmung zwar höhere Stromverluste (ca. 1% pro 100 Km), dafür sind die Transformationsverluste beim Wechsel der Netzebenen geringer ("Trafos" erzeugen störende Blindströme). In den stark vermaschten Verteilnetzen Europas hat sich deshalb der Wechselstrom durchgesetzt.
Damit Spannung und Netzfrequenz immer gleich sind, muss zu jedem Zeitpunkt dieselbe Menge elektrische Energie ins Netz eingespiesen wie entnommen werden. Zudem müssen die Netzverluste kompensiert werden. Wird das Netz instabil kommt es zu Brownouts (flackern) oder gar zu Blackouts (Stromausfall). Die goldene Regel lautet deshalb: Die Energiemengenbilanz im Netz muss zu jedem Zeitpunkt ausgeglichen sein!
Doch wie wird dies erreicht?
Eine Minute, wie die "unsichtbare Hand des Marktes" das technische Stromnetz regelt
Der Markt, mit seinen Abermillionen Stromnutzern und -herstellern, besorgt den Löwenanteil der ausgeglichenen Ein-/Ausspeisung gleich selbst. Wie das funktioniert? Es gibt drei Schauplätze, wo der Stromtausch geplant wird:
Strombörse – Käufer und Anbieter wickeln am European Energy Exchange (EEX) Handelsgeschäfte ab. Jedes Geschäft wird allein über den Preis entschieden. Man erfährt nichts über seinen Handelspartner, dessen Standort oder Produktionsweise. Strom wird entweder frühzeitig gekauft (Futures) oder kurz vor physikalischer Lieferung (am Day-Ahead oder Intraday Handel).
Over-The-Counter (OTC) – Käufer und Anbieter verhandeln bilateral über Stromlieferungen oder über einen Vermittler (Broker) bzw. dessen Webshop (Broker-Plattform). Ein OTC-Energieliefervertrag regelt entweder Jahre im Voraus eine Stromlieferung (Forward) oder legt Kraftwerkslieferung mit speziellen Konditionen fest (Power Purchase Agreements, PPA). PPAs sind typisch für den Kauf von Energie aus Solarstrom- oder Biomasse-KWK-Kraftwerken.
Regelenergiemarkt – Um das zu verstehen, muss man wissen, was Regelenergie ist. Darauf gehen wir gleich ein. Hier schon mal soviel: Die Regelenergie wird am Regelenergiemarkt gehandelt, wo nachgefragte Regelenergie täglich in Form von Auktionen versteigert wird.
Jeder Energieliefervertrag muss unabhängig davon, an welchem Markt er zustande kommt, für jede ¼-Stunde festlegen, wieviel Strom übertragen wird. Er muss also 96 Stromlieferungen pro Tag oder 35040 Stromlieferungen pro Jahr definieren.
Der Energieliefervertrag legt also ein 15'-Stromprofil fest, das Liefer- oder Handelsfahrplan genannt wird. Stromproduzenten müssen genau gemäss Handelsfahrplan Strom ins Netz einspeisen und Käufer dieselbe Strommenge ausspeisen. So bleibt die Netzspannung ausgeglichen. Diese "marktwirtschaftliche Selbstorganisation" funktioniert aber nur, wenn alle Handelsfahrpläne verbindlich registriert und kontrolliert werden. Beides ist deshalb per Gesetz vorgeschrieben.
Die Kontrolle erledigt die Fahrplanmanagerin (Bilanzgruppenkoordinator). Ein paar Tage vor der physischen Lieferung sammelt diese sämtliche Handelsfahrpläne ihres Netzgebietes ein und erstellt eine Prognose für den Energiefluss in ihrem Netz. In der Prognose wird ersichtlich, wie das Verteilnetz in den kommenden Tagen genutzt wird. Werden einzelne Leitungen und Trafos voraussichtlich überlastet, muss eingegriffen werden. Gewisse Kraftwerke werden dann angewiesen, ihre Produktion zeitlich zu verschieben (Redispatch).
Eine Minute, "Behind the Scene"
Jetzt wird’s spannend: Damit im ganzen europäischen Stromnetz alle Handelsfahrpläne innert Minuten erfasst und ausgewertet werden, muss es blitzschnell gehen. Europa hat zusammen ein hocheffizientes System zur Energiemengenbilanzierung entwickelt. Strom-Deals werden heute in unter 5 Minuten quer über den EU Binnenmarkt via Internet abgewickelt und von den betroffenen Fahrplanmanagerinnen registriert.
Dazu sind drei Systeme notwendig:
Das stark vermaschte EU Netz wurde in Regelzonen unterteilt. Für die Regelzone Schweiz ist die Swissgrid verantwortlich. Sie verwaltet für ihr Netzgebiet sämtliche Fahrpläne, koordiniert die Bilanzgruppen und managt die Netzspannungshaltung.
Wer Strom kaufen oder verkaufen will, muss bei der Swissgrid eine Bilanzgruppe eröffnen. Das ist ein Fahrplan-Konto. Sämtliche Ein- und Ausspeisungen in der Bilanzgruppe werden mit Smart Metern gemessen. Die Swissgrid prüft so die Einhaltung des registrierten Fahrplans.
Fahrplan- und Smart Meter-Datenübertragung läuft vollautomatisch ab, dank dem europäischen ebIX-System bzw. der Schweizer Adaption davon, dem Schweizerischer Datenaustausch (SDAT).
Das Betreiben einer eigenen Bilanzgruppe ist sehr teuer, denn es geht nicht ohne Software, welche die vielen einzelnen Geschäftsprozesse digitalisiert sowie den gesetzlichen und technischen Anforderungen genügt.
Etablierte Bilanzgruppenverantwortliche (BGV) bieten deshalb ihre teure Infrastruktur Dritten als Service an. Ein Stromanbieter oder Käufer richtet dann quasi als "Untermieter" beim BGV eine Bilanzuntergruppe ein und tätigt seine Geschäfte darüber. Eine Bilanzgruppe mit vielen Untergruppen tritt allerdings gegenüber der Swissgrid weiterhin als Einheit mit nur einem Handelsfahrplan auf. Der BGV als Dienstleister muss deshalb die Fahrpläne der Mitglieder intern aggregieren und managen.
Wenn sie nun denken, sie haben Strom noch nie so eingekauft oder gar verkauft, hat dies einen Grund: Sie beziehen Strom aus der Grund- oder Ersatzversorgung.
In der Schweiz haben Endverbraucher, die jährlich weniger als 100 MWh Strom beziehen, keinen freien Marktzugang. Sie dürfen das öffentliche Netz nicht nutzen, um Strom von einem Stromhersteller ihrer Wahl zu kaufen. Aus Sicht des EWs sind sie deshalb ein Kunde ohne "freien Netzzugang". Das EW muss in diesem Fall den Strom für sie einkaufen. Ist das nun gut oder nicht? Ein heisses Thema... mehr dazu später.
Eine Minute, über Bilanzgruppen & Houdini
Markttheorie klingt immer gut, aber wie sieht die Praxis aus? Käufer und Hersteller können ihre Stromübertragung schliesslich gar nicht alle 15 Minuten, also 35040-mal pro Jahr, exakt gemäss Stromliefervertrag einhalten. Zum einen sind die dem Einkauf zugrunde liegenden Verbrauchsprognosen meist falsch geschätzt, zum anderen können Handelsfahrpläne aus anlagentechischen und betrieblichen Gründen nicht exakt eingehalten werden. So entstehen laufend kleinere oder grössere Mehr- oder Mindermengen.
Die Swissgrid stellt per Gesetz jeder Bilanzgruppe die Über-/Unterdeckung ihrer Fahrpläne in Form von Ausgleichsenergie in Rechnung. Das ist so gewollt, damit ein Marktanreiz besteht, die Entstehung von Fahrplanabweichungen zu vermeiden. Solange die Ausgleichsenergie signifikant über dem Marktpreis liegt, lohnt es sich für viele Einkäufer exakte Fahrplanprognosen zu erstellen und diese exakt einzukaufen.
Grosse Bilanzgruppen haben allerdings einen angenehmen "Houdini-Effekt." Denn werden die Fahrpläne mehrerer Bilanzuntergruppen in einem Pool aggregiert, löschen sich die Unter- und Überdeckungen teilweise aus (siehe Abbildung). Je mehr Untergruppen, desto grösser ist dieser Auslöschungs-Effekt. Grosse Bilanzgruppen haben dadurch einen relativen Wettbewerbsvorteil.
Eine Minute, über teuren Regelstrom
Die Swissgrid ermittelt die Ausgleichenergie pro Bilanzgruppe buchhalterisch, nämlich aus der Differenz vom Fahrplan und den Smart Meter-Messungen der Bilanzgruppe. Im physischen Übertragungsnetz findet hingegen ein realer Regelbedarf für Unter- und Überdeckungen zwischen Stromherstellern und Verbrauchern statt.
Zusätzlich entstehen bei der Stromübertragung Netzverlust von 8-15%. Allein im Schweizer Verteilnetz gibt es ca. 75'000 Transformatoren und 250'000 km Stromleitungen, die Stromverluste verursachen!
In das Netz wird deshalb neben dem am Markt gehandelten Strom zusätzliche Regelenergie eingespiesen. Doch wie funktioniert dies? Es gibt drei Eskalationsstufen zum Erhalt der Netzspannung in einer Regelzone:
Primärregelenergie muss innert Sekunden verfügbar sein, z.B. bei einem Kraftwerkausfalls.
Sekundärregelenergie wird innerhalb von 5 Minuten aktiviert und
Tertiärregelenergie, auch Minutenreserve genannte, in unter 15 Minuten.
Besonders geeignet sind Kraftwerke die sowohl Strom einspeisen als auch aufnehmen können, z.B. Batterie- oder Pumpspeicherkraftwerke. Auch Kraftwerke, welche Ihre Kapazität kurzfristig hoch- und runterfahren können sind geeignet wie z.B. Wärmekraftwerke mit Biogas, Geothermie oder Abfallverbrennung.
Jeder Regelzone in Europa wird ein Kontingent an Regelstrom zugewiesen. Weil die Swissgrid keine Kraftwerke besitzen darf, bezieht sie die erforderliche Energie von Produzenten in ihrem Netzgebiet, welche die technischen Anforderungen für Primär-, Sekundär- oder Tertiärenergie erfüllen. Diese Anbieter bilden den Schweizer Regelenergiemarkt. Die Swissgrid erwirbt über Auktionen die erforderlichen Kapazitäten von den Anbietern.
Weil die Netzspannung in jeder erdenklichen Situation erhalten werden muss, wird immer "mehr als genug" Kapazität gebucht. Das Ziel dieser Kapazitätsreserve ist die Versorgungssicherheit und es ist die Natur der Sache, dass diese stets nur teilweise genutzt wird. Die Kosten für Regelenergie betragen also immer ein x-faches des regulären Verbraucherstroms.
Seit 2011 wird Regelenergie in Europa länderübergreifend koordiniert. Die International Grid Control Cooperation (IGCC) sorgt dafür, dass die benachbarten Regelzonen nicht mehr gleichzeitig Ausgleichsleistung in entgegengesetzte Richtungen aktivieren. Die Kosten für Regelenergie pro Regelzone konnten so erfreulicherweise auf ein tieferes Niveau gesenkt werden.
Eine Minute, über "Liaisons Dangereuse" im Netz
Halten wir fest: Strom ist mega-nützlich und da er klimaneutral hergestellt werden kann bedeutendster Energieträger für die Menschheit im Anthropozän. Damit Strom aus der Steckdose immer verfügbar ist, muss die Netzspannung zu jedem Zeitpunkt stabil sein. Strombezüge und Netzverluste müssen stets in einer Balance mit den Netzeinspeisungen stehen.
Der primäre Regelmechanismus für diese Balance ist der freie Markt. Ein Kauf besteht aus fünf Prozessschritten: 1. Lastprognose, 2. Handel, 3. Fahrplanmanagement der Bilanzgruppe, 4. Smart Meter-Messdatenmanagement und 5. Ausgleichsenergie-Abrechnung.
Der sekundäre Regelmechanismus für den Netzspannungsausgleich bilden die Systemdienstleister der europäischen Regelzonen. Für das helvetische Netz ist die Swissgrid verantwortlich, welche einerseits Netzverluste und andererseits die realen Mehr-/Mindermengen aus dem Handel, also das eigentliche Marktversagen mit Regelenergie kompensiert.
Das Schöne am Strommarkt ist, dass die "unsichtbare Hand des Marktes" weitgehend für den Netzspannungshaltung sorgt. Die günstigsten Stromanbieter erhalten den Zuschlag und bleiben im Rennen, die anderen scheiden aus. Die Börse erledigt dies hocheffizient, da Preis, Menge und Lieferzeitpunkt die einzigen Argumente für einen Handel sind.
Der bilaterale OTC-Handel ist aufgrund des erhöhten Informationsaustauschs zwischen Käufer und Verkäufer zwar weniger effizient als die Börse, dafür werden qualitative Argumente berücksichtigt und erlauben eine Differenzierung des Angebots und eine "qualitative Entwicklung" der Energiewirtschaft.
Der Souverän, also die Gemeinschaft, hat allerdings noch anderes im Sinn als den Marktpreis, nämlich den Erhalt der Versorgungssicherheit im europäischen Stromnetz und das Erreichen von Klimazielen. Diese Punkte regeln nicht etwa der Preis, sondern die Energiepolitik, die heute - zumindest unter Fachleuten - als internationale Aufgabe wargenommen wird.
Abschliessend noch ein ganz wesentlicher Aspekt, welche komplexe Systeme wie der Strommarkt betreffen, nämlich die Wechselwirkungen beziehungsweise die Rückkopplungseffekte. Diese können grosse Dynamik und Stress im System entfalten. Stressfaktoren im Strommarkt sind beispielsweise:
Stress in der Netzbelastung: Die Verteilung der Einspeisungen im europäischen Netz kann sich eher vorteilhaft (viele dezentrale Einspeisung) oder unvorteilhaft entwickeln (viele Grosskraftwerke über grosse Distanzen). Dies verändert Netzbelastung, Netzverluste und Regelenergiebedarf.
Stress im Kaufprozess: Ein Stromeinkäufer muss seinen Verbrauch möglichst genau prognostizieren und einhalten, damit er keine Ausgleichsenergie verursacht und bezahlen muss. Zudem macht ihm das Strompreis-Risiko sorgen, denn er will den preislich günstigsten Moment nicht verpassen, um seinen prognostizierten Strombedarf bzw. seine offene Positionen rechtzeitig zu decken. Er riskiert also immer auch einen zu hohen Strompreis zu bezahlen.
Stress unter Menschen: Marktakteure können sich rational oder emotional verhalten. Das laue Gefühl im Magen übertrifft bekanntlich meist den Verstand. So kommt es auch bei Energieeinkäufern und Produzenten zu Bullen- oder Bärenmärkte (Hausse/Baisse) und zu fragwürdigen Spekulationen, die Marktverzerrungen verursachen, welches spätestens im Verteilnetz dann der Systemdienstleister ausbaden muss.
Stress im Produktionsprozess: Stromgeneratoren können ausfallen (Wartung, Störungen) oder aufgrund des Wetters nicht gemäss den prognostiziertem Fahrplan liefern. Stress verursachen auch Kapazitätsengpässe aufgrund der Energiepolitik (Wachstumsökonomie, Energiewende) oder von Extremsituationen (Kriege, hartnäckige Grosswetterlagen).
Stress durch Rückkopplungseffekte: Je mehr die oben genannten Stressfaktoren den Markt und damit die Netzspannung in Schieflage bringen, desto mehr Regelenergie wird benötigt. Regelstromeinsätze und Reserven stehen im Wettbewerb zum kommerziellen Stromangebot und treiben die Marktpreise weiter in die Höhe. Nehmen Kapazitäts-Engpässe zu oder wächst die Angst davor, kann gar Panik ausbrechen, wodurch Stromkäufer zu hamstern beginnen und gröbere Überdeckungen in Kauf nehmen, die mit noch mehr Regelenergie ausgeglichen werden müssen. Ein Teufelskreislauf entsteht, den der Gesetzgeber mit Notfall-Interventionen unter Kontrolle bringen muss (z.B. temporäre Preisobergrenze).
Man kann aus diesen "Liaisons Dangereuse" im Markt schlussfolgern, dass nicht nur der Preis, aber auch die Regelenergie eine Art Fiebermesser dafür ist, wie effizient das System läuft.