Die Geschäftsleitung muss Netto Null 2050 so umsetzen, dass weder Wettbewerbsnachteile noch Reputationsverluste entstehen und keine Vorwürfe der Geldverschwendung erhoben werden können. Im ersten Bericht dieser dreiteiligen Serie entdeckten wir Lean Management als Leuchtpfad für Energieeffizienz. In diesem Bericht schauen wir nun an, was die Organisation konkret unternimmt und stützen uns dabei auf die Best Practice. Das erfolgreiche Energiemanagement einer Organisation hat vier Bausteine:
Baustein 1 - Die Energiebilanz
Die Energiebilanz weist den Energiefluss in der Organisation nach. Energieherkunft und deren Verwendung werden transparent. In der Energiebilanz werden die Energiebezüge der eigenen Geschäftsaktivitäten abgebildet, die entweder am Arbeitsplatz in Gebäuden oder durch die Benutzung von Transportmitteln anfallen. In der Energiebilanz werden die verwendeten Energieträger ausgewiesen, also die fossilen Kraftstoffe, brennbaren Gase, Netz- und Solarstrom sowie Fernwärme, Wind- und Fliesswasserkraft.
Die Energiebilanz ermöglicht das Management der Energie und Effizienz. Mit den Bilanzdaten kann die Geschäftsleitung Ziele konkret festlegen, Effizienzmassnahmen bewilligen und nachkontrollieren. Der Wirkungsgrad der Prozesse und Anlagen und der Einfluss der MitarbeiterInnen wird sichtbar. Effizienzmassnahmen betreffen sowohl technische Anlagen (Technologiewahl, Auslegung, Betriebseinstellungen, Reinigung & Wartungen usw.) als auch die Menschen (Arbeitsregeln, energetisches Bewusstsein und Visualisierungen, Partizipation & Verantwortung, Motivation usw.).
Die Bilanzperiode spielt dabei eine sehr grosse Rolle. Qualitative Aussagen über den Energieverbrauch sind mit Jahreszahlen nicht möglich. Werden Energiebezüge monatlich erfasst, sind saisonale Wetterschwankungen und Ferienzeiten erkennbar. Bei täglicher oder minütlicher Erfassung werden wesentlich mehr Einflussfaktoren erkennbar, beispielsweise die Tages- und Arbeitszeiten, Feiertage, einzelne Produktionslose, die Nutzintensität, Raumbelegung, Aussentemperatur oder Sonnenschein.
Mit sehr kurzen Datenerfassungsperioden wird das Energie-Profil einer Aktivität erkennbar. Dabei entstehen grosse Datenmengen, die in Diagrammen visualisiert werden müssen, damit auf einen Blick erkannt wird, wie die Energie in der Organisation konsumiert wird. Dank der Energieprofile kann die Auswirkung diverser Einflussfaktoren auf die Aktivität untersucht werden. Auch können die Energieprofile miteinanderverglichen werden, zum Beispiel vor und nach einer Effizienzmassnahme. Potenziale werden dadurch systematisch entdeckt und können wirkungsvoll realisiert werden.
Die Herausforderung dabei sind die Kosten der Energiedatenerfassung. Je kleiner die Messperiode, desto grössere Datenmengen müssen erfasst, gespeichert und verwaltet werden. Das geht natürlich nur durch Digitalisierung. Im dritten Teil dieser Berichtserie werden wir darauf eingehen, wie die Energiedatenerfassung wirtschaftlich umgesetzt wird, wie situationsgerechte Messpläne erstellt und Messmittel eingesetzt werden.
Das Fundament des betrieblichen Energiemanagements ist die Energiebilanz der Organisation. Sie bildet auch die Basis für die Ökobilanz.
Baustein 2 – Die Ökobilanz
In der Ökobilanz werden Daten über Energiefluss und Stofffluss systematisch gesammelt und dessen Auswirkungen auf unsere Umwelt bewertet, also auf Luft, Wasser, Böden und Landnutzung. Der Fokus liegt auf dem Einfluss der eigenen Aktivitäten – also der internen Prozesse, Produkte und Dienstleistungen – auf die gesamte Lieferkette, von der Rohstoffgewinnung bis zur finalen Entsorgung. Dieses Konzept wird als "Life Cycle Assessment" (LCA) oder Ökobilanz bezeichnet und stellt eine buchhalterische Mammutaufgabe dar!
Die LCA-Ökobilanz einer Organisation beginnt mit der Erfassung der Energie, welche in den eigenen Aktivitäten konsumiert wird. Buchhalterisch ist es das erste Glied der Lieferkette und wird als Scope 1 klassifiziert. Eine separate Klasse ist der Scope 2, es ist die Energie, welche über Verteilnetzanschlüsse bezogen wird (EW Strom, Gas, Fernwärme) und über Messgeräte (Smart Meter) abgerechnet wird.
Bleibt noch Scope 3. Das ist die Energie, die aufgrund der eigenen Aktivitäten in der vor- und nachgelagerten Lieferkette anfällt. Ein gutes Beispiel für Scope 3 Energieverbrauch ist die Nutzung des Internets beziehungsweise dessen Services wie Googel, ChatGPT, Buchungsplattformen, Hotline-Bots, Social Media, Content Marketing, Webmeetings, GPS tracking, Bitcoins usw. usw. Die "eigene Aktivität auf dem Internet" verursacht enormen Energieverbrauch! Beim Scope 3 ist nicht mehr eindeutig, wieso, wem, weshalb der Energieverbrauch zugeordnet wird. Es ist Aufgabe des Bundes und der Weltgemeinschaft einen Konsens zur LCA-Ökobilanzierung zu finden. Das Projekt ist noch unterwegs…
Hinweis: Wir betrachten hier vor allem den Energieverbrauch innerhalb der eigenen Organisation.
Während die Energiebilanz die ganze Energie im Betrieb ausweist, erfasst die Ökobilanz nur den Anteil der Energie, der die Umwelt belastet. Zur Beurteilung der schädlichen Auswirkung der Energieträger auf Luft, Wasser und Böden werden sie mit einem Umweltbelastungs-Faktor gewichtet. Bei der Netto Null-Methode wird lediglich die Belastung der Atmosphäre bewertet, indem Treibhausgas-Emissionen (THGE) kalkuliert und in Tonnen CO2-Äquivalente ausgedrückt werden. Das Ziel ist die menschenverursachten THGE zu eliminieren, damit sich das Klima nicht weiter erwärmt.
Zynisch sind Ökobilanzen, die geschönt werden. Werden umweltbelastende Energieträger entgegen wissenschaftlicher Untersuchungen als nachhaltig ausgewiesen, indem obsolete Umwandlungsfaktoren und intransparente Reports erstellt werden, handelt es sich um "Greenwashing." Wer die Umwelt ernsthaft schützen will, muss von schädlichen Energieträgern unabhängig werden. Es bleiben noch 15 Jahre für den Netto Null-Absenkpfad. Für viele ist das schon mit dem heutigen Stand der Technologie machbar!
Noch ist der Gedanke nicht überall angekommen. Einige Menschen spekulieren darauf, dass am Ende der Staat nachsichtig sein wird und man als Trittbrettfahrer besser davon kommt. Doch diese "Strategie" ist riskant, denn die nächste Generation Politiker könnte die "fahrlässigen Klimaprofiteure" ex post zur Rechenschaft ziehen.
Für eine verantwortungsvolle Organisation ist es deshalb klüger, sich proaktiv zu engagieren wie es die Scienced Based Target Initiative (SBTI) rät. Die SBTI setzt auf Eigenverantwortung, Eigeninitiative und wendet Ökobilanzierungsstandard nach bestem Wissen und Gewissen an (siehe auch Reporting-Standards im ersten Teil der Serie).
In einigen Branchen fehlen allerdings noch echte Alternativen und wir können entweder auf diese Produkte in Zukunft verzichten oder die schädlichen Auswirkungen müssen mit viel Geld via Carbon-Capture Technolgien kompensiert werden. Sicher ist allerdings nur eines, diese politische Auseinandersetzung wird intensiv und zur gesellschaftlichen Zerreissprobe, den es hängen auch viele Jobs und Existenzen davon ab.
Baustein 3 – Das Energiemanagement System
Der Dritte Baustein ist ein Energie-Managementsystem, wie es die ISO 50001 rät. In der Organisation werden Abläufe etabliert und eine Effizienzkultur gefördert, damit Energiemanagement überall, systematisch und kontinuierlich erfolgt. Dazu gehören folgende Aspekte:
Führungskräfte sind Vorbilder. Leader motivieren ihre Mitarbeiter den Wechsel auf nachhaltige Technologie zu beschleunigen und während ihren Aktivitäten keine THG-emittierende Energie mehr zu verschwenden.
Energieberichte werden sachgerecht, faktenbasiert, transparent, nachvollziehbar und vertrauenswürdig erstellt.
Das Management setzt verbindliche, messbare Ziele fest, schafft Gestaltungsräume für kreatives Mitwirken aller Mitarbeiter, stellt Mittel für die Umsetzung der Massnahmen zur Verfügung, kontrolliert und belohnt die Zielerreichung.
Mitarbeiter sind motiviert mitzudenken, Energie- & Effizienzmassnahmen vorzuschlagen und umzusetzen. Das steht nicht nur so im Stellenbeschrieb, sondern dafür gibt es auch Strukturen. Da Erfolg was Wert ist, werden sie ausgezeichnet und belohnt.
Externe Experten & Lieferanten werden als wertvolle Vermittler neuer Methoden und Ideen engagiert und helfen mit, die Transition der Aktivitäten der Organisation leichter zu bewältigen.
Best Practice anwenden:
- Anlagen/Aktivitäten in der Organisation mit dem grössten Energieverbrauch erhalten besonderer Aufmerksamkeit.
- Einfach und schnell realisierbare Effizienzmassnahmen sollen sofort umgesetzt
werden ("low hanging fruits").
- Anlagenerneuerungen sind eine günstige Chance den Technologiewandel umzusetzen.
- Effizienzpotenziale rechtfertigen frühzeitige Ersatzinvestitionen/Sanierungen.
Wie können Sie Energie im Betrieb sparen? Klären Sie folgende Fragen:
Welche Aktivitäten können wir zusammenlegen oder vermeiden?
Gibt es energieeffizientere Alternativen für die Aktivität?
Gibt es bekannte Effizienzmassnahmen für die Aktivität?
Wie gross ist das Effizienzpotenzial der Aktivität?
Welche Massnahmen zeigten in der Vergangenheit die grösste Wirkung?
Welche Einflussfaktoren erhöhen/senken den Energieverbrauch der Aktivität?
Gibt es am Ort der Aktivität nutzbare Umweltenergie?
Haben wir Energieüberschüsse oder Energieabflüsse die sich nutzen ließen?
Welche Aktivitäten verursachen unsere Leistungsspitzen und Engpässe und könnten zeitversetzt ausgeführt werden?
Damit "Nägel mit Köpfen" beim Netto Null-Absenkpfad gemacht werden, braucht es eine detailgenaue Energiebilanz, eine ehrliche Ökobilanz und ein motivierendes Management System.
Baustein 4 - Die öffentliche Hand
Der vierte Baustein ist der Staat. Aufgrund der Dringlichkeit von Klimaerwärmung, Versauerung der Böden und Gewässer, schwindenden Biodiversität usw. interveniert der Staat zunehmend in den liberalen Markt und leitet die Geldflüsse um. Das erfolgt mittels engerer gesetzlicher Rahmenbedingungen bei der Nutzung der Natur (Ressourcenschonung) und durch Preisinterventionen bei Umweltbelastungen. Preisinterventionen sind entweder Verteuerung, beispielsweise der THG-Emissionen, oder Vergünstigung, beispielsweise die Förderung erneuerbarer Energie und Effizienzmassnahmen. Der Staat wird zum "Marktplayer", der alle Branchen, Firmen und privaten Haushalte betrifft.
Wegen des Klimawandels steht die Energiepolitik unter Druck. Sie fördert die Energie- & Antriebswende, indem sie fossile betriebene Heizkessel und Kraftfahrzeugmotoren durch elektrische Antriebe ersetzt, also durch Wärmepumpen und Elektrofahrzeuge. Aufgrund der unglaublichen Digitalisierung wächst der Strombedarf zudem für die Datenverarbeitung. Den Strom dafür werden riesige Flotten dezentral installierter Photovoltaikanlagen und Akkus bereitstellen. Wird der Strom in Spitzenstunden knapp, wird er teuer. Kein Problem für jene, die in Zukunft Energieautark, Energieeffizient und Energieflexibel sind. Flexible Prosumer können die Uhrzeit ihres Netzstrombezug und ihrer Netzeinspeisung zu ihrem Vorteil beeinflussen.
Für Netzbetreiber ist das eine Herausforderung. Neu fliesst der Strom ja nicht mehr nur von den Grosskraftwerken über das Starkstromnetz in die regionalen Netze, sondern auch von privaten Solarstromanlagen. Dieser "Sandwich-Effekt" macht den EWs ihre Energiebedarfsprognosen und Einkäufe bei Grossisten riskanter, die Netzbelastungen unvorhersehbarer und erschwehrt die mittelfristige Netzplanung. EWs reagieren mit Risikoabsicherung, Netzausbau und früher oder später führt dies zu höheren Netzanschlussgebüren, Leistungspreise und Energietarife ... und gegebenfalls auch zu Qualitätseinbussen im Service, beispielsweise wenn Solaranlagen zwingend abgeregelt werden müssen oder Energie (lokal oder national) mal rationalisiert werden sollte.
Der Staat befürwortet deshalb neben dem Ausbau erneuerbarer Energieanlagen wie Solarenergie, Windkraft, Biomasse & Geothermie-Anlagen vor allem auch Massnahmen zur effizienteren Verwendung der Netzenergie. Effizienzmassnahmen werden proaktiv gefördert, im einfachen Fall mittels Bargelbeiträge. Von Bund, Kantonen und Gemeinden gibt es eine ganze Reihe Fördermöglichkeiten für Organisationen (und Private). Eine Übersicht nach Postleitzahl bietet die Webseite Energiefranken.
Häufig genutzte energiepolitische Organe des Staates in Organisationen:
PEIK – Impulsberatung: Der Bund kofinanziert eine einmalige Beratung für Betriebsoptimierung der Anlagen & Gebäudetechnik
GEAK – Effizienzberatung: Der Kanton kofinanziert eine einmalige Beratung für Betriebsoptimierung der Gebäudetechnik
ProKilowatt – Stromfresser frühzeitig ersetzen: Der Bund kofinanziert den Austausch ineffizienter Anlagen & Geräte vor ihrem erwarteten Lebensende
ProEffizienz – Stromfresser frühzeitig ersetzen: Ab 2025 müssen auch EWs den Austausch ineffizienter Anlagen & Geräte finanziell fördern, die nicht mehr dem Stand der Technik entsprechen.
act / EnAW – CO2-Abgabenbefreiung: Wird mit dem Bund (via act / EnAW) der CO2-Ausstoss der eigenen Aktivitäten limitiert, erhält die Organisation die Abgaben zurück. Davon profitieren ca. 2500 KMUs in der Schweiz.
EHS –Emissions-Handelssystem für Grossverbraucher: Industriebetriebe mit sehr grosser Umweltbelastung müssen am Europäischen EHS teilnehmen. Falls sie zu wenig zur Reduktion ihrer THG-Emissionen unternehmen, müssen sie zusätzliche CO2-Emissionsrechte kaufen, die zunehmend teurer werden. Falls sie mehr als erfordert einsparen, können sie überschüssige THG-Emissionsrechte abstossen oder sie horten, um auf zukünftige Gewinne zu spekulieren. Davon betroffen sind ca. 100 Grossverbraucher in der Schweiz.
Diese Umverteilung verändert die Wettbewerbsfähigkeit vieler Produkte und Dienstleistungen. Wer heute THG-emittierende Energie nicht systematisch aus seiner Organisation verbannt, wird Netto Null 2050 eventuell nicht oder weniger wirtschaftlich erreichen.
Wie Gesellschaft und Märkte "schlafwandelnde Klimasünder" in Zukunft abstrafen werden, ist heute zwar Spekulation, aber der Megatrend ist offensichtlich. Spätestens seit dem Klimaabkommen in Paris 2015 ist die Natur kein "freies Gut" mehr. Wer weiterhin fahrlässig Luft, Wasser und Böden überbeansprucht, trägt Verantwortung dafür und belastet sich.
Eine verantwortungsbewusste Organisation antizipiert dies. Sie minimiert nicht nur ihre Kosten, sondern auch ihre Abhängigkeit von umweltbelastenden Energieträgern. Sie fördert den Wandel in ihrer Organisation als Champion, investiert in ein Energiereporting und Management System und versteht wie der Staat den Markt entwickelt und Gelder umverteilt. Sie nutzt die Chancen, die sich daraus ergeben und versteht es, im richtigen Moment ihre Weichen zu stellen.