In vielen Organisationen, Gemeinden oder Unternehmen hat das Energieeffizienzmanagement noch keinen hohen Stellenwert. Der Grund dafür? Energieverbrauch trägt nichts zur eigentlichen Wertschöpfung bei. Dennoch, der/die eine oder andere KapitänIn hat das mulmige Gefühl, dass möglicherweise etwas übersehen wurde und der Zug ohne sie abfährt.
Eine kluge Strategie ist es, Energieeffizienz als Aspekt im Lean Management zu interpretieren. Wer "schlank" werden will, verfolgt das Ziel seine Abläufe qualitativ zu verbessern und gleichzeitig die Prozesskosten zu senken. Der Mahnfinger zeigt dabei auf die konsequente Vermeidung von Verschwendung. Dazu gehört auch die Energieverschwendung.
Eine Kultur der Schlankheit senkt nicht nur Betriebskosten, sie führt auch zu neuer Erkenntnis. Dieser Lernprozess ist der eigentliche Trick dabei! Denn wer sich um Verschwendung im Betrieb sorgt, entdeckt Optimierungspotenziale, modernisiert die Organisation ständig und reagiert agiler auf Umweltveränderungen. Schlanke Organisationen adaptieren neue Technologien der Energiewende und Digitalisierung leichter und passen sich fortlaufend an.
Die Herausforderungen des Klimawandels sind die Entledigung fossiler Abhängigkeiten und Risiken, neue Reporting Standards, physische Wetterereignisse (z.B. Starkregen, Hitzesommer), gesetzliche Minimalstandards und gesellschaftliche Trends wie veränderte Kundenbedürfnisse, kommunale Energieangebote (Nahwärme, ZEV, LEG), neue ÖV-Angebote und Sharing-Modelle oder digitale Kollaborationen im B2B, B2C und C2C-Bereich.
Managt eine Organisation Energieeffizienz systematisch, werden nicht nur offensichtliche Potentiale nachgebessert ("low-hanging fruits"), sondern die Gebäude und Anlagen und ihr Ökosystem werden besser geplant und ganzheitlich optimiert. Mit anderen Worten, wer Energieeffizienz managt, steigt zu den führenden Organisationen im Nachhaltigkeits-Ranking der Zertifizierungsstellen auf, nutzt die beste verfügbare Technik früher als andere an und profitiert zusätzlich von einen effizienten, störungsfreien Betrieb. Energieverschwendung zu tolerieren, ist für das Lean Management deshalb ein absolutes "No-Go!"
Die Organisation ist Chefsache. Weil der Energieverbrauch aber nicht systematisch erfasst wird, erscheint er nicht auf dem Radar in der Teppichetage. So schlummert das Spar- und Entwicklungspotenzial einer Organisation meist im Dunkeln vor sich hin und verursacht Kosten... wie ein undichter Spülkasten der dauernd rinnt.
Effizienzmassnahmen werden in der Praxis meist ad-hoc entdeckt. Häufig leider nicht weil das eigene Management es so will, sondern weil der Staat es fördert. Der Staat schafft Zwänge etwa durch höhere Minimalstandards oder er schafft Anreize, wie beispielsweise die finanzielle Förderung von Erstberatungen oder indem er die Organisation von Energieabgaben befreit, wenn die Organisation mit dem Staat eine freiwillige CO2-Zielvereinbarungen eingeht. Dies sind gut gemeinte Anreize, aber der interne Lerneffekt ist gering und die Entwicklung der Nachhaltigkeit ist zähflüssig.
Der zweite wesentliche Grund, weshalb Organisationen Energieeffizienz managen, ist die Ökobilanzierung. Sie erstellen die Treibhausgas-Emissionsbilanz, um ihre Stakeholder – seien es Wähler, Investoren, Kunden, Fans, die Presse oder die öffentliche Hand – über ihre Fortschritte zu informieren.
Häufig erfolgt dies mittels einer Zertifizierung. Das Öko-Label verbessert Bonität, Image und Marke. Bei Zertifizierungen werden entweder Öko-Klassifikationen (Klasse A bis F) oder Eco-Levels (Bronce = Awareness, Silver = Management, Gold = Leader) unterschieden. Je mehr sich eine Organisation ins Zeug legt, desto besser schneidet sie ab. Sie muss ihre Nachhaltigkeit fortlaufend weiterentwickeln, denn das Erreichen bzw. der Wettbewerb um die angesehenen "Gold-Plätze" wird zunehmend strenger.
Eine Organisation setzt dabei den Hebel bei drei Massnahmenpakete an:
Energieeffizientere, schlanke Prozesse
Prozesse mit Umweltenergie antreiben (erneuerbarer Energie vor Ort nutzen)
Kompensationsgeschäfte
Kompensationsgeschäfte ermöglicht der EU-Emissionshandel, der Kauf von Herkunftsnachweisen nachhaltiger Stromerzeugung (Graustrom wird damit buchhalterisch als "grün" ausgewiesen) und CO2-Kompensationsprojekte. Dazu gehören Bäume pflanzen, CO2-Projekte im Ausland oder Carbon Capture Technologien, die Treibhausgase künstlich aus der Luft filtern und in Böden einlagern. Mit anderen Worten Kompensationsgeschäfte sind komplizierter, ineffizient, verschwenderisch und kosten mehr als wenn man keine Emissionen an der Quelle verursacht. Wer Lean Management denkt, für den sind CO2-Kompensationen der "Worst Case!"
Mit der Ökobilanz wird auch der ökologische Fussabdruck für die eigenen Produkte und Dienstleistungen erstellt. Weil heutzutage sehr viele Endkunden bei der Produktwahl ökologisch sensibilisiert sind, pochen Händler wie Migros oder Coop darauf, dass sie emissionsarm hergestellte Produkte von nachhaltig organisierten Lieferanten erhalten, die dies auch beweisen können. Das bedingt, dass Emissionen entlang der gesamten Lieferkette erfasst werden.
Deshalb setzen sich internationale Reporting Standards zunehmend durch, welche auf dem Greenhouse Gas Protocol basieren. Dieser Standard gruppiert Emissionen nach dem Verursacherprinzip, damit Emissionen entlang der ganzen Wertekette einmalig erfasst:
Scope 1: Direkte Emissionen durch Aktivitäten der Organisation (z. B. Verbrennung fossiler Brennstoffe im Betrieb oder in Fahrzeugen)
Scope 2: Indirekte Emissionen der Energie, welche die Organisation über Verteilnetze bezieht (z.B. Strom, Fernwärme, Gas)
Scope 3: Indirekte Emissionen entlang der vor- oder nachgelagerten Wertschöpfungskette (z.B. Lieferanten, Geschäftsreisen, Nutzung verkaufter Produkte, Internetdienstleistungen).
Das Netto Null-Management hat ein Problem: Viele Organisationen wollen zwar was tun und denken, sie tun bereits ihr möglichstes. In der Praxis werden die Aufgaben dann an einzelne Mitarbeiter delegiert. Die organisieren sich selbst mit individuellen Windows-Explorer-Verzeichnissen, schaffen Email-Verläufe mit zahlreichen CCs und treffen sich gelegentlich in Meetings (mit oder ohne Reports). Das führt meist zur Zettelwirtschaft, einem unnützem Datenfriedhof und zur Abhängigkeit gegenüber altgedienten MitarbeiterInnen. Es ist das Gegenteil einer schlanken, agilen Organisation.
Ein weiteres Problem im Effizienzmanagement ist das fehlende Fachwissen im eigenen Team. Verbessert werden sollen ja nicht nur die Geschäftsabläufe, sondern auch die vielen Prozesse in Gebäudetechnik, EDV-, Produktions- und Logistikanlagen. Das sind häufig Systeme, welche externe Planer eingerichtet haben. Nachden die Anlagen in Betrieb genommen worden sind, stehen diese Fachkräfte häufig nicht mehr für dringend benötigte Betriebsoptimierungen zur Verfügung; selbst dann nicht, wenn man bereit wäre, dafür zu zahlen. Denn Experten sind ein knappes Gut. Sie haben schlicht keine Zeit dafür und betrachten den Betrieb nicht als ihre Aufgabe.
Das Rezept dagegen ist lernen, damit umzugehen. Der Urvater der "Prozessqualität" Dr. W. E. Deming missionierte eben dies. Auch den Managementsystemen ISO 9000/Qualität und ISO 50001/Energie liegt diese kontinuierliche Lern-Philosophie zugrunde.
Energieeffizienz erfordert eine Art vernetzte Intelligenz zwischen der eigenen Organisation (Anlagen, Mitarbeiter, Prozesse), externen Beratern und Anlagen-Lieferanten sowie eine Fülle an "Know-how", das heute meist auch über das Internet verfügbar geworden ist.
Das Grosshirn dieser vernetzten Intelligenz in der Organisation ist eine Energiedaten-Plattform. Darüber werden Informationen über den Energiebedarf in Immobilien, Fahrzeugen und Prozessen systematisch, langfristig und effizient gesammelt und ausgewertet. Die eigenen Aktivitäten und direkten / indirekten Abhängigkeiten zur fossilen Energie und anderen Umweltrisiken können transparent dargestellt werden, damit an den richtigen Stellschrauben gedreht und investiert wird.
Das Dashboard zeigt nicht nur High-Level-Analysen wie summarische Jahresbilanzen, sondern es gibt den Mitarbeitern in der Organisation Detailinformationen über den Gebrauch der Anlagen und deren Wirkung auf Energiebezüge (Lastprofile, Betriebszeiten, Spitzenbelastung usw.) und vor allem auch über deren effiziente Verwendung, Verschwendung, Anomalien, Trends, Schwachstellen und Potenziale.
Mit der Energiedaten-Plattform können Messgeräte, Energiebeauftragte und Mitarbeiter generell "Effizienzwissen" akkumulieren und sind eine wichtige Entscheidungshilfe bei der Optimierung und Weiterentwicklung der Geschäftsprozesse und Gebäude. Menge und Qualität der Effizienzmassnahmen steigt in der Organisation und reduziert die Betriebskosten nachhaltig. Auch der Zeitaufwand und Präzision der Planung neuer Anlagen verbessert sich.
"Es geht dabei übrigens nicht darum, möglichst viele Dinge zu messen, sondern die richtigen..."
Es geht dabei übrigens nicht darum, möglichst viele Dinge zu messen, sondern die richtigen. Sogar für komplexe Systeme können einfache Heuristiken (Faustregeln) entdeckt werden, welche es zulassen, sich mit geringem Messaufwand einen guten Überblick zu verschaffen. Mit den richtigen Kennzahlen entdeckt man Baustellen und Potenziale und kann adäquate Massnahmen entwickeln.
Aufgaben im Effizienzmanagement sind
Effizienz-Reporting
Effizienz-Potenzialermittlung
Interne Organisation für Klima- und Energieeffizienzfragen
Anlagen-Installationen & Instandhaltung
Anlagen-Betrieb & Funktionsüberwachung
Energiemonitoring
Betriebsoptimierung
Lastmanagement zwecks Senkung der Energiekosten & Emissionen
Anlagen-Upgrades (z.B. smartere Steuerung, bessere Komponenten)
Energiesystem-Upgrades (z.B. Energierückgewinnung, Wärmedämmung)
Kapazitäts- und Erneuerungsplanung
Technologiewechsel auf effizientere, nachhaltigere Anlagen
Ökobilanzierung und Energieeffizienz ohne passende Kultur (Lean Thinking) und Struktur (Energiedaten-Plattform) wird schwierig, weil es sonst unsichtbar, komplex, kleinteilig und zeitaufwendig ist. Energieeffizienzmanagement lohnt sich dann nur noch für die paar "low-hanging fruits" oder weil das Unternehmen Sanktionen befürchtet, falls weil es seine Treibhausgas-Emissionen nicht unter Kontrolle hat und dies glaubhaft nachweisen kann.
Noch Lust auf mehr? Lesen Sie den Beitrag für Manager "Netto Null ist Teamwork - Vier Bausteine fahren die Ernte ein" oder die spannende Frage "Wie bring ich mir selbst und Anderen Energiesparen bei?"
Author: Marc Holthuizen, inspiriert durch "The New Economics" von W. Edwards Deming sowie "Lean Thinking" von James P. Womack/Daniel T.Jones und "The Leader's Handbook" von Peter R. Scholtes.